Selbsthilfegruppe "Schlaganfall & Co." am 27.11.2024

Jeden letzten Mittwoch im Monat um 15:00 Uhr in der Timmstr. 1 (Seckenhausen) für Betroffene und Angehörige

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Viola Trein

Die innere Kraft neu entdecken

"Ich berate und unterstütze Betroffene und Angehörige in kritischen Lebensphasen, insbesondere bei Schlaganfall oder Hirnblutung mit Halbseitenlähmung."

Blog Post

Ein anderes Leben

Viola Trein • 28. August 2019

Alles neu macht die Hirnblutung

Aus gegebenem Anlass:
Da man als Betroffener ja immer ungefragt kluge Ratschläge bekommt, fühle ich da stets den Drang einen Versuch zu starten, den Menschen da draußen zu erklären, wie das so ist mit einer Halbseitenlähmung durch geschädigte Nerven.

Wenn man das oder Ähnliches nicht erlebt hat, kann man es sicher nicht nachvollziehen. Trotzdem starte ich mal einen Versuch es zu beschreiben.

Erstmal gehst Du gut gelaunt aus dem Haus, es geht Dir super. Kurze Zeit später findest Du Dich auf dem Boden eines Restaurants wieder und dann im RTW und der Notaufnahme. Was los ist weißt Du nicht, weil gerade war ja noch alles gut.

Dann hörst Du, es ist eine Hirnblutung. OK, was bedeutet das?

Du stellst fest, Du kannst die linke Seite nicht mehr bewegen, Du kannst nicht mehr sitzen und aufstehen, weil Du kein Gleichgewicht mehr hast.
Es folgen viele Maßnahmen, um Dich zu stabilisieren. Du kommst in die Früh-Reha, da setzt man Dich auf. Leider spielt Dein Kreislauf da nicht mit und bricht immer wieder zusammen. Keiner kann Dir sagen ob und wann und in welchem Ausmaß Du wieder wirst. Ergo, kein Ende in Sicht.

Ganz langsam verstehst Du, dass dies keine Sache von Wochen ist, sondern eher von Jahren. Du machst Dir Sorgen wie es mit Dir weiter geht. Du bedauerst Deinen Chef, weil Du ja nun auf nicht absehbare Zeit Deinen Job nicht machen kannst. Wie und wovon lebst Du in Zukunft ... Angst macht sich breit. Die ist eh von jetzt an Dein ständiger Begleiter.

Yeah, Du kannst schon mal ein paar Minuten sitzen, ohne zu spucken. Aber Du bist in einem Krankenhaus, das Bett, eine sichere Burg.

Spannender Weise ist die Abteilung für Schlaganfall und Co. eingegliedert in die Geriatrie. Verwirrte alte Menschen kommen in Dein Zimmer und glauben, Du liegst in ihrem Bett und machen Aufstand. Nun denn, nur Du stellst fest, Du kannst nicht aufstehen und gehen, um Dich der Situation zu entziehen oder Hilfe zu holen.

Dann kommt die nächste Reha.
Du bist immer noch sicher aufgehoben da.
Du lernst Dich mit einer Hand anzuziehen.
Du kommst angeschnallt in einen Stehständer, damit Du lernst wieder Senkrecht zu sein. Danach dann ein Gangtrainer.
Du bist überall fixiert, damit Du nicht umfällst, weil Dein Gleichgewicht ist nicht stabil.
Du lernst wie ein Baby die senkrechte Haltung und gehen.
Du musst lernen die Toilette zu benutzen. Natürlich kannst Du das erst Mal nicht alleine. So ist immer wer dabei, wenn Du pinkelst.
Du musst in dieser Zeit alles an Schamgefühl, was Du glaubst zu haben, vergessen. Ich könnte heute umgeben von 100 fremden Menschen urinieren und Co., dass macht mir nichts mehr aus.
Du bist umgeben von Pflegepersonal, Ärzten und Leidensgenossen jeden Alters. Vom 11 jährigen Mädchen bis zum 85 Jährigen. Eine Welt für sich.

Dann geht es nach Hause. Du hast schon Schiss wie das wohl wird, freust Dich aber auch nach Monaten wieder auf Dein Reich. Erst mal eingewöhnen, gibt Dir Zeit.

Jetzt stellst Du fest, was Du alles verändern musst. Es fängt damit an, dass Du einhändig nicht mehr einen BH anziehen kannst. Was tun, also Bustiers kaufen. Die Schlüpper aus Seide sind jetzt auch ungünstig, weil Du ja jetzt viel sitzt und das ist dann untenrum schwitziger als sonst, also müssen Schlüpper aus Baumwolle her.

Du kommst in Rückenlage, weil was anderes geht ja nicht mehr, nicht an den Schalter der Nachttischlampe. Also neue Füsse unter den Nachtisch, reicht nicht. Neue Nachttischlampen mit Kettenzug müssen her.

Du kannst alle Deine Schuhe entsorgen. Der gelähmte linke Fuß lässt sich in keinen Slipper schieben. Er ist immer geschwollen und man glaubt es kaum, da keine Belastung da ist, ist der Muskel schlapp und Du hast mindestens eine wenn nicht zwei Schuhgrößen mehr. Also müssen andere Schuhe her. Sneaker mit Klett. Gar nicht so leicht zu finden. Und als eitle Frau nehmen wir dann auch eine Auswahl und begnügen uns nicht mit einem Paar. Ich habe geweint, als ich mich von all meinen schönen Schuhen getrennt habe. Männer mögen da vielleicht anders ticken. Für mich war das schlimm.

Als nächstes Hosen, weil man kann und will ja nicht immerzu in der Joggingbuxe rumsitzen. Einhändig Hose mit Reißverschluss und Knopf geht, ist aber nicht einfach. Also müssen Hosen mit Gummibund her. Bei meiner Größe auch eine elendige Sucherei, die Länge halt.

Im Bad vorm Spiegel stehen zum Schminken und Fönen, geht mangels Gleichgewicht auch nicht mehr. Also Esszimmer umgebaut in ein Büro und in einer Ecke einen Schminktisch mit Spiegel vor dem ich sitzen kann. Perfekt.

So geht das Geld flöten. Ein Duschvorhang, der sich an Dich schmiegt beim Duschen ist auch voll übel. Du hast genug mit Dir zu tun. Also muss der weg und eine andere Lösung her. Oh und Wasserschuhe, weil ohne Schuhe geht vom Halt und Gleichgewicht auch noch nicht.

Das Bad wird umgebaut, die 4000 von der Pflegekasse reichen nicht dafür. Jeder, der mal ein Bad saniert hat, weiß, wie teuer das ist. Und so fallen einem ständig Dinge auf, die man ändern kann und sollte, damit das Halbseiten gelähmte Leben leichter wird.

Nicht zu vergessen, dass viele Menschen einfach verschwinden aus Deinem Leben, weil Du nicht mehr funktionierst. Sollte man nicht glauben, ist aber so. Die gucken mal, stellen fest, Du stirbst nicht und verdrücken sich leise durch die Hintertür, weil sie mit Dir nichts mehr anfangen können so wie Du jetzt bist.

Dabei bin ich wie immer. Gut, nicht mehr so belastbar und die linke Seite funktioniert halt nicht. Ich umarme dann nur mit rechts. Achterbahn fahren würde ich jetzt nicht unbedingt, aber das hat mir früher auch nicht viel Freude bereitet. Ich bin halt vorsichtiger geworden.

Vieles habe ich jetzt verändert und erneuert, damit ich besser klarkomme, denn ich muss mit dieser Lähmung noch lange, vielleicht sogar immer leben.

Schlimm für mich ist, dass ganze alte Leben loszulassen, zu vergessen. Jetzt heißt es, alles neu zu gestalten. Das ist auch eine Chance auf Veränderung, die vermutlich sonst nicht stattgefunden hätte. Aber es ist für mich als planenden, organisierten Menschen nicht leicht, nicht zu wissen, was kommt, wie es laufen wird und wie es weiter geht.

Selber verändert man sich auch. Man schaut in den Spiegel und fragt sich, wer ist das, die kenne ich nicht.
Irgendwas wird sicher passieren. Im besten Fall kommt Beweglichkeit zurück und ich finde eine Aufgabe, die mich glücklich macht.

Einfach ist das alles nicht, eine herausfordernde Aufgabe, die ich, glaube ich, bis jetzt ganz gut gemeistert habe. Gut, ich hab viel erneuert und dazugekauft, damit es besser geht und nun bin ich erst mal Pleite. Shit happens, es wird auch wieder anders. Ich übe mich in Selbstliebe, denn mich so zu akzeptieren und zu lieben wie ich jetzt bin, ist ebenfalls eine Herausforderung. Ich habe gelernt ich bin gut, wenn ich funktioniere, nun muss ich lernen, dass ich auch mit Behinderung ein liebenswerter Mensch bin.

Es gibt soviel dazu zu erzählen, so viel zu lernen, zu üben, zu erfahren, man könnte Romane schreiben. Vielleicht mache ich das auch mal.

Jetzt geht es erst mal mit Therapie weiter, die Fahrerlaubnis kommt als nächstes, das TÜV Gutachten ist jetzt da. Übrigens auch ein verdammt teures Vergnügen. Dann hätte ich gern einen Minijob, um mal wieder was zu machen, was nach Arbeit aussieht. Und ich arbeite weiter an mir. Meine Seele wollte mir durch den Hirnschlag ja bestimmt was sagen.

Es ist noch ein weiter Weg, denke ich. Leider habe ich immer das Gefühl, mir läuft die Zeit davon. Aber das ist ein anderes Thema und führt jetzt zu weit. We will see :-)

Wer mal Laune hat, probiert mal morgen früh sich mit einer Hand anzuziehen. Wir machen es auch nicht schwer, nur Unterwäsche, Socken und Shirt und Jeans. Bin gespannt auf Rückmeldung wie lange es gedauert hat. Und nicht schummeln.

Oh und eins noch. Jeder Mensch und jeder Fall ist komplett individuell. Also nie den einen mit dem anderen vergleichen. Wenn da einer im TV ist, der dies und das kann, genau hinhören. Vieles wird da nicht gesagt. Man kann einfach keine Vergleiche anstellen. Wenn mir einer sagt, guck mal die Bahnradfahrerin lebt doch super, trotz ihrer Querschnittslähmung. Ja sicher toll, nur ganz andere Voraussetzungen. Wenn ich beide Arme bewegen könnte, könnte ich unglaublich viel mehr machen im Alltag. Und da ist ein Partner da, der sie liebevoll unterstützt und als Beamtin und Profi-Sportlerin auch noch mal anders unterstützt. Ich bin allein mit dem Kram und zwar körperlich, mental, finanziell, also in jeder Hinsicht.

Aber das ist jetzt auch egal. Es ist wie es ist. Ich muss halt gucken, das bestmögliche daraus zu machen. Das ist oft sehr schwer und frustrierend. Aber ich glaube, ich schlage mich ganz gut.

Aber bitte Leute, vergleicht nicht und gebt keine Ratschläge, wenn ihr nicht 100% genau wisst, wovon ihr sprecht.

Nachfragen ist jederzeit erlaubt und erwünscht, traut Euch ruhig, insoweit Interesse besteht. Ich stehe gern zur Verfügung und beantworte alles so offen wie möglich.

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